Donnerstag, 29. September 2011

Gewalt gegen Angehörige indigener Völker Boliviens

Am 26.09.2011 ging die bolivianische Polizei mit Tränengas und Schlagstöcken brutal gegen 1000 bis 1500 indigene Männer, Frauen und Kinder vor, die mit einem friedlichen Marsch gegen den Bau einer geplanten Schnellstraße durch das Schutzgebiet des eine Million Hektar großen Nationalparks Isiboro Secure protestierten.

Wie in vielen Medien (Quellenangaben unten) zu lesen ist, leben dort etwa 50000 Angehörige des Moxenos-, Yurakarés- und des Chimanes-Volkes. Am 15. August waren die Demonstranten zu ihrem Protestmarsch aufgebrochen, der sie von Trinidad bis zum 600 Kilometer entfernten Sitz der Regierung in La Paz führen sollte.

Die Schnellstraße wird von Brasilien finanziert und würde Brasilien mit Häfen an der Pazifikküste verbinden. Für den Fall, dass sie fertiggestellt werden sollte - so befürchten die indigenen Völker - würde es zu einer verstärkten Rodung der Urwälder kommen. Abgesehen davon, dass dieses die Vernichtung ihres Lebensraumes und damit eine existentielle Bedrohung ihrer Lebensgrundlage bedeuten würde, ist das rapide Fortschreiten der Waldverluste in den tropischen Regenwaldgebieten der Welt auch ein nicht zu unterschätzender Faktor bezüglich der drohenden Klimakatastrophe. Straßen durch Regenälder waren bisher immer die Keimzellen anschließender Rodungen. Der Schutz des Regenwaldes und der angestammten Heimat der Ureinwohner Boliviens betrifft deshalb jeden von uns.


Gewaltsame Unterdrückung des Protestmarsches

Als die Demonstranten bei der Ortschaft Yucumo, ungefähr 320 Kilometer nordöstlich von ihrem Ziel, vorübergehend ihre Zelte aufgeschlagen hatten, stürmten Polizeieinheiten das Lager, wobei sie mehrere Demonstranten verletzten.

Die festgenommenen Protestmarsch-Teilnehmer wurden mit Bussen nach San Borja gebracht. 300 von ihnen sollten eigentlich von Rurrenabaque in ihre Heimatregionen zurückgeflogen werden. Vorher allerdings wurden sie von Bürgern der Stadt, die den Flughafen blockiert und die Beamten in die Flucht getrieben hatten, befreit. Aus Protest gegen die gewaltsame Unterdrückung des Demonstrationszuges traten am 26.09.2011 in den Städten Santa Cruz und Chochabamba mehrere Angehörige indigener Völker in einen Hungerstreik.
  • Frau Amparo Carvajal (Menschenrechtsaktivistin) sprach von "extremer Gewalt" seitens der Polizei.
  • Frau Yasukawa (UN-Gesandte für Bolivien) forderte die Behörden auf, ihrer Pflicht zum Schutz der Bevölkerung nachzukommen und die Gewalt schnellstmöglichst zu stoppen.
  • Ebenso wie die UNO hatte auch Frau Chacón (Bolivien, Verteidigungsministerin) die Gewalt gegen die Ureinwohner kritisiert und war am Montag aus Protest zurückgetreten. Dabei hatte sie erklärt, sie könne den Interventionen durch die Regierung nicht zustimmen. Sie werde die Gewalt nicht rechtfertigen, solange es andere alternative Lösungen im Rahmen der Achtung der Menschenrechte gebe. Ihre Entscheidung sei unwiderruflich und es gebe keinen Weg zurück.


Des Präsidenten neue Gegner

Besonders pikant an der Situation ist aus meiner Sicht die Tatsache, dass Herr Morales (Bolivien, Präsident) der erste Präsident des Landes ist, der der indigenen Urbevölkerung angehört. Aufgrund seiner Abstammung und seiner linksgerichteten Politik hat er sich seit seinem Amtsantritt viele Feinde unter der weißen Bevölkerung gemacht. Sein Eintreten für die Schnellstrasse hatte ihm dann zusätzlich neue Gegner in den Kreisen der Bevölkerung Boliviens beschert, die bisher zu seinen Unterstützern gehört hatten.

Bisher hatte Herr Morales immer betont, der Schutz der Rechte der indigenen Völker Boliviens sei ihm ein besonderes Anliegen. Bevor es zu dem Polizeieinsatz gekommen war, hatte er einer Abordnung der Protestmarschierer angeboten, im Präsidentenpalast von La Paz mit ihm zu sprechen.

Aufgrund internationaler Proteste und der Proteste im eigenen Land kündigte er jetzt an, dass die Bewohner der betroffenen Departamentos Beni und Cochabamba in einem Referendum darüber abstimmen sollen, ob die Straße durch ihre Regionen gebaut werden darf oder nicht. Bis zur Entscheidung darüber werde das Projekt unterbrochen.


Internationaler Protest

In einer E-Mail an den Verteiler seiner Unterstützer hat das internationale demokratischen Netzwerk AVAAZ heute jedoch darauf hingewiesen, dass mächtige multinationale Konzerne bereits jetzt das Naturreservat unter sich aufteilen. Wenn sich jetzt aber die Weltöffentlichkeit an die Seite der indigenen Völker Boliviens stellen würde, dann könne das die Regierung Boliviens dazu bewegen, das Autobahnprojekt so zu ändern, dass der Regenwald verschont bleibe.

AVAAZ schreibt, eine kürzlich erschienene Studie zeige, dass 64 Prozent des Parks bis 2030 der Abholzung zum Opfer fallen könnten, wenn die Straße wie geplant gebaut werden würde. Nicht nur Gesellschaften und der Wald würden zerstört werden, sondern der Straßenbau würde auch den Weg für Waldabbau, Ölförderung, Bergbau und große Industrie- und Landwirtschaftsprojekte in einer bis jetzt unberührten Gegend bereiten.

Bolivianisches und internationales Recht schreibe der Regierung Boliviens vor, dass indigene Völker konsultiert werden müssen, bevor ihnen ihr Land streitig gemacht werden kann. Die Regierung habe deren Proteste jedoch ignoriert keinerlei alternative Trassenführung außerhalb des Schutzgebietes in Betracht gezogen. Selbst das von Herrn Morales geforderte Referendum für die betroffenen Regionen sei gesetzeswidrig und werde lediglich als Versuch angesehen, ein unrechtmässiges Einverständnis für den Bau der Straße zu erhalten.

Herr Morales hat bisher weltweit für seinen Einsatz für die Umwelt und die Ureinwohner Boliviens von sich reden gemacht. Um ihn "zu ermutigen, seinen Grundsätzen treu zu bleiben" und denen zur Seite zu stehen, die sich für den Schutz des Amazonas-Regenwaldes und der indigenen Gemeinschaften einsetzen, hat AVAAZ eine internationale Petition initiiert. Der Text der Petition lautet:
An den bolivianischen Präsidenten Evo Morales,

bitte stoppen Sie das harte Durchgreifen gegen die indigenen der TIPNIS-Region und lassen Sie alle Demonstranten in Polizeigewahrsam frei. Bitte führen Sie umfassende und verbindliche Gespräche, wie es im Gesetz vorgeschrieben ist, mit den Einheimischen, die Rechte über die TIPNIS-Region besitzen. Verwerfen Sie alle Genehmigungen zum Bau der Schnellstraße durch das Naturschutzgebiet und ziehen Sie alternative Routen in Betracht. Ihr Einsatz für Mutter Natur und die Rechte der Ureinwohner hat uns auf der ganzen Welt ermutigt. Jetzt rufen wir Sie dazu auf, diese Gemeinschaften und den wertvollen Wald zu schützen.

MfG


Jeder, der sich der Petition anschließen möchte, kann diese auf der Internetseite von AVAAZ online unterzeichnen.


(Quellen: Die Zeit vom 27.09.2011, Baseler Zeitung vom 27.09.2011, Focus vom 26.09.2011, euronews vom 26.09.2011, Neue Zürcher Zeitung vom 26.09.2011, Der Standard vom 26.09.2011, Die Zeit vom 18.08.2011, Rettet den Regenwald e.V., AVAAZ)

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